Sportlerin des Jahres 2022: Gina Lückenkemper

Krankenhaus statt rauschender Siegesfeier

Im Sommer schrieb sie bei der Leichtathletik-EM in München eine ganz besondere Geschichte. Die damals 25-Jährige Gina Lückenkemper stürmte über 100 Meter zu Gold, schlitzte sich mit dem waghalsigen Hechtsprung ins Ziel ihr Bein auf und musste kurz nach dem Sensations-Lauf ins Krankenhaus. Dort wurde sie mit acht Stichen genäht – nur drei Tage später holte sie mit der Staffel ebenfalls Gold. Später stellte sich heraus, dass sie sich beim Sturz außer der Wunde noch einen Kapselriss im Sprunggelenk zugezogen hatte! „Selbst wenn ich diese Diagnose damals gewusst hätte, wäre ich in der Staffel an den Start gegangen – für ein Rennen kann man immer irgendwie die Zähne zusammenbeißen“, so ihr Kommentar.

Drei Monate später ist die Sprinterin noch immer euphorisiert, wenn sie an diesen Moment denkt – auch wenn sie durch ihren Sturz über die Ziellinie verletzungsbedingt die Saison beenden musste. „Ich wollte an diesem Abend, in diesem Stadion, unbedingt noch einmal mit den Mädels auf der Bahn stehen und diese besondere Atmosphäre genießen. Schließlich haben wir alle für genau diese Momente das ganze Jahr über hart trainiert. Und wenn mich die Fäden im Knie nicht aufhalten, dann schafft das auch die Kapsel nicht. Nicht für dieses eine Rennen mit dieser unfassbar tollen Truppe!“

„Wenn ich an das EM-Finale zurückdenke, bekomme ich noch immer Gänsehaut, und es kribbelt am ganzen Körper. Tatsächlich sind bei mir die Emotionen im Stadion sogar schon früher hochgekocht“, erzählt sie rückblickend. „Nicht erst, als ich die 1 auf der Anzeigetafel gesehen haben, sondern als ich das Raunen, die Begeisterung des Publikums gehört und gespürt habe. Das konnte für mich ja nur bedeuten, dass es verdammt gut gewesen sein musste. Dass es sogar für den Sieg gereicht hat, war einfach der absolute Wahnsinn und komplett überwältigend. Im ersten Moment habe ich gar nicht so wirklich verstanden, was das überhaupt bedeutet. Es war einfach ein absoluter Befreiungsschlag. So wie die gesamte Saison 2022 mit Zeiten unter elf Sekunden und WM-Bronze mit unserer Staffel.“

Im Juni war sie in Berlin über 100 Meter in 10,99 Sekunden Deutsche Meisterin geworden – diese Zeit lag nur vier Hundertstel über ihrer persönlichen Bestzeit. Einen Monat später gewann sie – zusammen mit Tatjana Pinto, Alexandra Burghardt und Rebekka Haase – bei der WM in Eugene (USA) Staffel-Bronze. 2023 bildet die WM in Budapest den Saisonhöhepunkt, danach lautet ihr Ziel Olympia 2024 in Paris. Die olympischen Ringe hat sie bereits am linken Bizeps eintätowiert.

Die 1996 in Hamm geborene Gina Lückenkemper wuchs in Soest (NRW) auf, legte 2016 dort am Conrad-von-Soest-Gymnasium ihr Abitur ab und begann bereits mit sieben Jahren mit dem Laufen. Mittlerweile startet die seit einem Monat 26-Jährige für den SCC Berlin, sie trainiert seit 2019 in den USA bei Lance Brauman – „er machte ihr wieder Beine“, schrieb eine große deutsche Zeitung. Nebenher studiert sie Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum.

EM-Gold über 100 Meter für den DLV hatte übrigens zuletzt Verena Sailer vor zwölf Jahren bei der EM in Barcelona geholt. Sie wurde danach in Baden-Baden Dritte.

Letzte Änderung amMontag, 19 Dezember 2022 17:03
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