Sportler des Jahres 2022: Zehnkämpfer Niklas Kaul

Die Party des Jahres unter dem alten Zeltdach

Es war eine Punktlandung in der allerletzten Disziplin. Der Schluss-Akkord eines kräftezehrenden, dem Körper alle Reserven abverlangenden, zweitägigen Ringens mit sich selbst und mit der Konkurrenz. Als Zehnkämpfer Niklas Kaul in Bestzeit von 4:10,04 Minuten den abschließenden 1500-m-Lauf beendet hatte, mehr als 38 Sekunden vor seinem schärfsten Rivalen, dem Schweizer Simon Ehammer, stand fest: Der Mainzer hatte sich – angetrieben von einem fast ausverkauften Münchener Olympiastadion außer Rand und Band – erneut zum „König der Athleten“ gekrönt: Europameister.

Zu Hause vor eigenem Publikum. Angetrieben, nach vorn gepeitscht. Minutenlang gefeiert. Der Traum eines jeden Athleten. „Mir sind die Ohren weggeflogen, das war Wahnsinn. Danke München!", richtete sich der Mainzer über das Stadionmikrofon an die Zuschauer, die ihn zu insgesamt 8545 Punkten und damit zur Goldmedaille getragen hatten.

Danach hatte es lange Zeit nicht ausgesehen. Kaul, 2019 in Doha mit 21 bereits völlig überraschend der jüngste Weltmeister der Geschichte geworden, lag nach den ersten fünf Disziplinen am Auftakttag auf Platz sieben. „Nur“ auf Platz sieben für seine Verhältnisse. Doch er wusste: Tag zwei kann, Tag zwei wird mein Tag sein. Denn dann kommen jedes Mal jene Herausforderungen im weiten Rund des Stadions, allen voran das Speerwerfen, die den 24-Jährigen in der Regel auf die Umlaufbahn Richtung Medaillen setzen. Bei der WM in Eugene hatte sich der Physik- und Sportstudent von Rang 16 zur Halbzeit noch auf den sechsten Platz nach vorn gekämpft.

Mit seinem zweiten Gold bei großen internationalen Wettkämpfen hat sich der Mainzer in der Reihe der großen deutschen Zehnkampf-Legenden etabliert: Auf einer Stufe gemeinsam mit Willi Holdorf, der 1964 in Tokio gewann. Mit Jürgen Hingsen, der sich in den späten 1980ern epische Gladiatorenkämpfe mit dem Briten Daley Thompson geliefert hatte. Oder mit seinem Mainzer Landsmann Guido Kratschmer, dem die Politik 1980 in Moskau das mögliche Gold verwehrte und der daraufhin im schwäbischen Bernhausen 8649 Punkte und damit einen „Weltrekord aus Trotz und Verzweiflung“, wie er es selbst nannte, aufstellte.

Mit 24 Jahren steht der 1,90 Meter große Modellathlet Niklas Kaul, von Vater Michael und Mutter Stefanie trainiert, trotz zweier großer Titel eigentlich erst am Beginn seiner Karriere. Sein zweiter großer persönlicher Triumph war einer der absoluten Höhepunkte unter dem mittlerweile 50 Jahre alten Zeltdach, 1972 bei Olympia als architektonische Sensation bestaunt und bewundert. Das Fest mit dem „König der Athleten“ löste an gleicher Stätte, wo sich schon vor einem halben Jahrhundert Heide Rosendahl, Ulrike Meyfarth, Klaus Wolfermann und Co. in den Leichtathletik-Olymp katapultiert hatten, eine wahre Party-Stimmung aus.

Letzte Änderung amMontag, 19 Dezember 2022 17:03
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