Die Tour 25 Jahre „nach Ulle“
Ist das wirklich schon ein Vierteljahrhundert her? 1997: Deutschland im Radsportfieber. Ein Junge aus „Meck-Pomm“, sommersprossig, mit Talent in Hülle und Fülle gesegnet, gewinnt als erster Deutscher die legendäre Tour de France. DAS Ereignis neben Olympia und Fußball-WM schlechthin im Sportkalender. Gut, die Geschichte um Jan Ullrich ist nachher etwas aus dem Ruder gelaufen. Anders, als sich das alle Beteiligten vorgestellt und sicher auch gewünscht hätten. Und jetzt? 25 Jahre später? Am Freitag startet in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen die nächste Auflage der „Grande Boucle“. Nummer 109 inzwischen. Und was ist dieses Mal mit Radsport-Deutschland? Wieder Fieber oder bestenfalls lauwarm?
Wenn die Tour zuletzt in den Schlagzeilen war, dann wegen der Tour de Suisse, wegen Corona-Ausstiegen en masse und der Frage, wer denn nun die deutschen Farben in welchen Rennställen am nachhaltigsten vertreten soll. Und überhaupt kann. Von den deutschen Profi-Equipen, die sich seit dem Einstieg der Magenta-farbenen Kommunikations-Spezialisten als langfristige Nachfolger versucht haben, ist der professionelle Dampf-Ablasser mit Namen Bora Hansgrohe sicherlich der mit dem längsten Atem. Dessen Top-Rider Maximilian Schachmann musste wegen des Virus bei den nationalen Titelkämpfen im Sauerland dem Teamkameraden Nils Politt schon kampflos das Meistertrikot überlassen, rollt aber jetzt zum Start, einem 13-km-Prolog durch das Zentrum Kopenhagens.
Zeitfahrspezialist Lennart Kämna will sich auf dem Weg nach Paris auf den 21 Etappen zeigen, für die Fotografen durfte er sich schon mal im neuen Tour-Outfit des Rennstalls posieren. Dass Bora-Athlet „Emu“ Buchmann in diesem Jahr den Giro und im Herbst die Vuelta der 21-tägigen Frankreich-Rundfahrt, die am 24. Juli traditionsgemäß auf den Champs Elysées enden wird, vorziehen würde, stand schon vorher fest. Der Tour-Vierte von 2019 ist mittlerweile aus dem großen Öffentlichkeits-Focus gefallen. Unverschuldet, zum Teil auch wegen eines frühen Sturzes vor zwei Jahren.
Im Klassement werden keine deutschen Fahrer weit vorn erwartet. Weder in der Endabrechnung noch unterwegs auf der Runde, die den Kletterern entgegenkommt. So wie beim Aufstieg hinauf nach L’Alpe d’Huez ausgerechnet am französischen Nationalfeiertag. Das wäre dann eher was für Cofidis-Profi Simon Geschke. Der mittlerweile 36-Jährige würde in einem französischen Rennstall am „quatorze juillet“ (14. Juli) Deutsche und Franzosen gleichermaßen aus dem Sattel reißen, wenn er denn „einen raushaut“. Und wäre am 18. Dezember in Baden-Baden beim „Sportler des Jahres“ ein gern gesehener Gast.
Aber gewiss ist vor dem Start am kommenden Freitag lediglich die Ungewissheit. Die Dänen werden sich zumindest 30 Jahre nach dem unglaublichen EM-Märchen ihrer Urlaubskicker mächtig über die besten Pedaleure der Welt freuen. Über die, die Corona übrig lässt.
Bild: picture alliance