Zeitwende für den Deutschland Achter

Ungewohnte Rolle für die Männer im Deutschland-Achter der Ruderer: 15 Jahre lang waren sie, gemeinsam mit den Konkurrenten aus Großbritannien, die Gejagten im Großboot der Männer. In diesem Jahr sind sie erstmals wieder die Jäger – nach dem nur siebten Platz bei den Weltmeisterschaften des vergangenen Jahres in Tschechien. Eine komplett neue und ungewohnte Ausgangsposition beim Kampf um die nur fünf Startplätze für die Olympischen Spiele 2024 in Paris, die bei den Weltmeisterschaften Anfang September in Belgrad vergeben werden.

Mit nur zwei Veränderungen gegenüber dem Vorjahr will das Achter-Team das Unternehmen Olympia-Qualifikation angehen. Der Grund dafür ist einfach. „Wir haben diese eine Gruppe, so wie sie hier sitzt. Die sind gut. Aber wir haben auch nicht mehr.“, so Chef-Bundestrainerin Brigitte Bielig bei der Vorstellung der Achter-Besatzung 2023 in Dortmund.

Die „Mannschaft des Jahres“ 2012 die in zwölf Jahren Olympisches Gold, zweimal Olympia-Silber, sechs WM-Titel und drei WM Silbermedaillen gewonnen hatte, scheiterte bei den Olympischen Spielen von Tokio 2021 ausgerechnet am Underdog Neuseeland.

Tokio war auch eine Zäsur für den Deutschland-Achter. Gleich sechs Sportler, inklusive dem erfahrenen Langzeit-Steuermann Martin Sauer, stiegen nach dem zweiten Platz im Olympia-Finale aus dem Boot aus. Der Schnitt war zu heftig. Der Fall war tief. Im Jahr eins nach Olympia und Corona holte der neu formierte Deutschland-Achter zum ersten Mal seit 2003 keine WM-Medaille, noch schlimmer, verpasste zum ersten Mal seit 23 Jahren sogar das WM-Finale

Die Mannschaft, die in dieser Woche am Bundesstützpunkt in Dortmund vorgestellt wurde, ist nahezu identisch mit der des vergangenen Jahres. Sie waren wieder die Schnellsten bei den Qualifikations-Wettbewerben der letzten Wochen. Zwei Ruderer aus dem 2022er Team fallen verletzungs- bzw. krankheitsbedingt aus. Dafür rücken zwei aus dem Vorjahres-Vierer, der bei der WM ebenso mit Platz sieben (un-)zufrieden sein musste, in den Achter auf. Nur einer, der für den Vierer nominierte Sönke Kruse (22) vom RV Münster, ist komplett neu im Team. Hannes Ocik aus Schwerin, sieben Jahre lang Schlagmann des Deutschland-Achters, muss nach einem Wechsel zu den Skullern und seiner Rückkehr ins Team der Riemen-Ruderer, enttäuscht und traurig über diese Entscheidung, vorerst mit der Rolle des Ersatzmannes zufrieden sein.

Und auch im Trainer-Boot gab es einen Wechsel. Über die neue Besetzung des Deutschland-Achters entschieden hat zum ersten Mal eine Frau. Sabine Tschäge hat das Team erst im März übernommen. Der bisherige Achter-Trainer, Uwe Bender (64), ist aus gesundheitlichen Gründen in den Innendienst gewechselt. Die 52-jährige gehört seit 2021 zum Trainer-Team am Stützpunkt in Dortmund. Sie steht in ihrem ersten Jahr als Achter-Trainerin gleich vor einer Riesenaufgabe.

„Man muss schon die Herausforderung lieben, wenn man das als Trainer macht. Aber diese Herausforderung nehme ich gerne an. Ich erwarte auch nicht, dass sofort alles rund läuft. Ausgangspunkt ist nun mal Rang sieben bei der letzten WM. Und wir müssen hart arbeiten, um wenigstens das Minimalziel Olympia-Qualifikation zu schaffen und dann auch wieder Anschluss an die Medaillenplätze zu finden.“ – so die Mülheimerin, die vor ihrem Wechsel nach Dortmund Vereins-Trainerin beim Crefelder Ruder-Club war und bei Olympia in Tokio den Leichtgewichts-Doppelzweier zur Silbermedaille gecoacht hat.

„Für mich persönlich ist es egal, ob ich eine Frauen- oder eine Männer-Mannschaft trainiere. Dass es jetzt der Deutschland-Achter ist, ist schon eine Auszeichnung. Mich macht das auch Stolz, dass ich den Achter trainieren darf. Das ist ein großer Schritt in meiner Laufbahn – und es gibt ja auch nicht so viele Frauen als Bundestrainerin. Die Grundstruktur ist ohnehin gleich. Es ist die gleiche Herausforderung und der gleiche Anspruch, schnell zu rudern und die Boote so weit wie es geht nach vorn zu bringen.“

Ein Hauptproblem sieht auch Sabine Tschäge darin, Ausfälle, die es im vergangenen Jahr in zu großer Zahl gab, gleichwertig kompensieren zu können. In der Coronazeit hat vor allem der Nachwuchs-Bereich gelitten, für den es kaum Wettkämpfe gab. Man habe hinter dem aktuellen Team nicht nochmal genauso viele Leute, die in den Startlöchern stehen und nur darauf warten, einen Platz in den Auswahl-Booten zu erkämpfen. Deshalb gehe es jetzt auch darum, ein Team dahinter aufzubauen, um Druck in die Mannschaft zu bekommen.

Erster Start und erste große Aufgabe ist die Europameisterschaft am Pfingst-Wochenende in Slowenien. „Das wird schon mal ein hartes Brett gegen die Briten und die Holländer, die im letzten Jahr Gold und Silber gewonnen haben. Aber dann wissen wir auch, wo wir stehen.“

Bild: Friedbert Raulf

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